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DI Jürgen Fluch im Gespräch: Vorweg, herzlichen Glückwunsch! Ihrem Institut wurde der Staatspreis für Umwelt- und Energietechnologie 2021 zugesprochen. AEE INTEC ist Preisträger der Kategorie „Forschung & Innovation“. Ihr Institut wurde 1988 gegründet und zählt heute zu einem der führenden europäischen Institute der angewandten Forschung auf dem Gebiet erneuerbarer Energie und Ressourceneffizienz.

Wie darf man sich die Organisationsstruktur Ihres Hauses vorstellen?

Im Grunde genommen handelt es sich um eine Matrixorganisation. Einerseits bearbeiten wir drei Zielgruppenbereiche, die da sind: „Gebäude“, „Städte und Netze“ und „Industrielle Systeme“, letztere fällt in meinen Verantwortungsbereich und anderseits haben wir im Bereich Technologieentwicklung drei Arbeitsgruppen, „Erneuerbare Energien“, „Thermische Speicher“ und „Wasser- und Prozesstechnologien“. Die durchgeführten F&E-Projekte reichen von der grundlagennahen Forschung bis hin zur Umsetzung von Demonstrationsanlagen. Entsprechend unserem Motto „Idea to Action“ schlagen wir eine Brücke zwischen der Forschung und der Anwendung in der Praxis.

Wie viele Mitarbeiter sind in Ihrem Institut beschäftigt?

Bei AEE INTEC in Gleisdorf sind derzeit rund 80 Mitarbeiter aus acht verschiedenen Nationen tätig. Darüber hinaus ist unser Institut auch in der Lehre sehr engagiert. Mit durchschnittlich drei PhD-StudentInnen und etwa zehn DiplomandInnen, PraktikantInnen und studentischen Hilfskräften leisten wir auch einen Beitrag zur Ausbildung von hochqualifizierten Fachkräften für die zukünftigen Herausforderungen.

Wenn Sie von Herausforderungen sprechen, an welche denken Sie dabei?

Allein wenn ich an die produzierende Industrie denke, die derzeit schon mehr als 30% des Endenergiebedarfs benötigt und wenn uns gleichzeitig bewusst ist, dass die voranschreitende Digitalisierung mit einer erwarteten Produktionssteigerung einhergeht, wird auch der Energiebedarf signifikant steigen. Wenn wir die von der Politik angestrebten Klimaziele erreichen wollen, sind innovative, ich möchte fast sagen, visionäre Lösungen gefragt. Die Dekarbonisierung industrieller Energiesysteme und deren bestmögliche Integration in bestehende Versorgungsnetze spielen dabei eine wesentliche Rolle.

Welche Rolle kommt aus Ihrer Sicht der Wärmepumpentechnologie, insbesondere der Hochtemperaturwärmepumpe, im Rahmen der Dekarbonisierungsbestrebungen zu?

Der Prozesswärmebedarf steht für etwa 65 bis 70% des gesamten industriellen Energieeinsatzes. Wir wissen auch, dass davon etwa 60% in einem Temperaturbereich bis maximal 400°C liegen. Warum exergetisch hochwertige Energie wie Strom, der aus erneuerbaren Quellen sogar in Österreich begrenzt verfügbar ist, verschwenden? Wir müssen Lösungen dafür finden und die gibt es. In diesem Temperaturbereich können wir durch geeignete Energieeffizienzmaßnahmen und erneuerbare Energietechnologien wie Solarthermie, Wärmepumpen, Biogas, Biomasse oder Geothermie den Energiebedarf abdecken. Und diese Lösungen entsprechen zum einen dem Stand der Technik und zum anderen sind diese Projekte großteils mit Amortisationsdauern unter fünf Jahren umzusetzen.

(Studie ICF International 2015 „Study on EE and Energy Savings Potential in Industry“, „Horta P 2016, Fraunhofer ISE 2017, Vannoni 2008). Ja, der Wärmepumpe kommt bei der Dekarbonisierung eine gewichtige Rolle zu.

Wärmepumpen stehen im Fokus vieler Entwicklungen. Wo wird aus Ihrer Sicht die Reise hingehen, was wird technisch noch möglich werden?

Das industrielle Energieversorgungssystem der Zukunft wird sehr wahrscheinlich nicht mehr nur aus einer Technologie bestehen. Je nach Anforderung werden die geeignetsten Technologien eingesetzt und miteinander kombiniert werden. Am Markt verfügbare Wärmepumpen eignen sich derzeit abhängig von der verwendeten Wärmequelle (in der Industrie zumeist Abwärme) und der notwendigen Leistung zur Versorgung mit Wärme von 95°C bis etwa 120°C. Das eröffnet natürlich interessante Einsatzmöglichkeiten der Wärmpumpentechnologie in der industriellen Anwendung, wie zum Beispiel in der Getränke-, Lebensmittel- oder Pharmaindustrie. Laufende Forschungen gehen aktuell in die Richtung, diese Temperaturen signifikant zu erhöhen und die Fortschritte sind sehr vielversprechend in einem Bereich bis 150° und deutlich darüber hinaus – wieder abhängig von der verfügbaren Wärmequelle. Umweltfreundliche Arbeitsmedien, Komponentenentwicklungen und optimierte Regelungsstrategien in Kombination mit anderen Technologien wie Solarthermie und vorhandener Abwärme sind die Schwerpunkte. Die Herausforderung wird sein, je nach Bedarf des Industriebetriebs das „beste“ Konzept zu entwickeln und umzusetzen.

Ihr Institut verfügt über internationale Erfahrungswerte über sämtliche Anwendungsfelder hinweg. Sie arbeiten nicht nur mit Industrie- und Gewerbetrieben zusammen, sondern sind auch in nationale und internationale Forschungsprojekte eingebunden. Auftraggeber sind dabei Länder, Bundesministerien, die Europäische Kommission und internationale Organisationen wie die UNIDO oder die IEA. Was fehlt aus Ihrer Sicht, in welchen Bereichen würden Sie sich Veränderungen und eine Optimierung wünschen? Wie sehen Sie Österreichs Stellung im internationalen Vergleich.

Die notwendige nachhaltige Dekarbonisierung der industriellen Energiesysteme ist eine nur international zu lösende Herausforderung. Betriebe sind bereit dazu, brauchen aber eine Planungssicherheit und vor allem belastbare Konzepte als Basis für weitreichende Investitionsentscheidungen. Zurzeit fehlen noch genau solche Kriterien und Methoden zur Identifikation und Bewertung der technisch und wirtschaftlich sinnvollsten Auswahl und vor allem Kombination der erwähnten erneuerbaren Technologien. Fragestellungen sind im Bereich der Design-, Betriebs- und Regelungsstrategien der Technologiekombinationen zu finden. Daran wird international mit Hochdruck geforscht und wir sehen, dass österreichische Expertise nicht nur gefragt ist, sondern wir hier maßgeblich an der Entwicklung der notwendigen Lösungen beteiligt sind. Wie so oft darf man nicht per se gegen Innovation sein, sondern muss diese Entwicklungen als Chance verstehen. Dem Industriebetrieb dürfen wir nicht die Komplexität als Herausforderung verkaufen, sondern die Lösung des nachhaltigen Systems. Welche Technologien wir im „Kesselhaus“ zu einem hybriden Energieversorgungssystem kombinieren, ist dem Betrieb egal, solange sie nachhaltig und auf mittlere Sicht auch billiger ist. Daran arbeiten wir gemeinsam mit den Technologieanbietern und den Fördergebern in unseren F&E-Projekten.

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