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Erich Lehner ist Managing Partner Markets bei EY Österreich und beschäftigt sich in dieser Funktion mit Markttrends und deren Auswirkungen auf verschiedene Branchen. Nachhaltigkeit ist für ihn neben Digitalisierung ein Thema, das alle Sektoren betrifft und an dem heute kein Unternehmen mehr vorbeikommt. Im Interview verrät er, wo der österreichische Standort in Sachen Nachhaltigkeit und Klimaneutralität steht und was Unternehmen droht, die sich dem Thema nicht widmen.

Der Kurs steht fest und ist unumkehrbar: Bis 2050 wird Europa klimaneutral sein – Österreich gemäß den Zielen im Regierungsprogramm 2020-2024 sogar schon bis 2040. Nach der Digitalisierung treibt die Dekarbonisierung die nächste große Transformation voran. Märkte, Unternehmen und deren Geschäftsmodelle werden sich grundlegend verändern. Sind diese Rahmenbedingungen den Unternehmen auch wirklich schon bewusst?

Für einen Großteil der führenden Betriebe Österreichs ist das Thema Nachhaltigkeit bereits Teil der Unternehmensstrategie. Drei von fünf Unternehmen haben nach Selbsteinschätzung das Thema Nachhaltigkeit vollumfänglich in ihre Unternehmensstrategie integriert, fast jedes dritte Unternehmen zumindest teilweise.

Insgesamt scheint Österreichs Wirtschaft damit auf einem guten Weg zu sein, was Nachhaltigkeit betrifft. Damit rücken auch die hoch gesteckten Klimaziele der Regierung in greifbare Nähe, so scheint es.

Denken Sie nicht, dass sich Betriebe vielleicht auch ein wenig besser einschätzen, als sie tatsächlich sind?

Ja, diese Befürchtung liegt nahe, vor allem da die gesamte Dimension des Themas und die Vielzahl an Stellhebeln noch häufig unterschätzt werden. Es braucht eine ganzheitliche ökologische und strategische Transformation. Nachhaltigkeit muss integrierter Bestandteil jeder Unternehmensstrategie sein.

Diese Vermutung wird auch durch den Blick auf die gesetzten Ziele, beispielsweise in puncto Klimaneutralität verstärkt: Nur etwa die Hälfte der Führungskräfte können Angaben zu den gesetzten Zielen rund um Klimaneutralität machen. Fast ein Viertel hat bei unserer letzten Befragung im Frühjahr 2021 angegeben, dass Klimaneutralität kein Ziel für ihren Betrieb wäre. Fast genauso viele konnten dazu keine Aussage treffen. Hier muss nachgeschärft werden, denn nachhaltige Strategien können natürlich nur dann erfolgsversprechend sein, wenn sie auf die richtigen Zielsetzungen aufbauen.

Was sind für Sie die entscheidenden Gründe für Unternehmen, sich dem Thema Nachhaltigkeit intensiver zu widmen?

Vorbeikommen wird am Thema Nachhaltigkeit in Zukunft kein einziges Unternehmen mehr – vor allem aus vier Gründen:

  • Der regulatorische Druck im Bereich Nachhaltigkeit steigt stetig. Im letzten Jahr kamen zahlreiche neue Gesetze und Entwürfe hinzu. Da wäre zum Beispiel die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der Europäischen Union, unter der bei Inkrafttreten viele mittelständische Betriebe Österreichs ein Nachhaltigkeitsberichtswesen implementieren müssen. Oder auch die EU-Taxonomie, die mit ihrem Umfang von hunderten Seiten schwer zu überblicken und zudem äußerst komplex ist. Und auch die GRI-Standards, quasi die „IFRS“ des Nachhaltigkeitreportings, die erst im letzten Herbst neu ausgegeben wurden. Nicht zu vergessen ist die ökosoziale Steuerreform der österreichischen Bundesregierung, die als zentrale Maßnahme eine Steuer auf CO2-Emissionen in Höhe von 30 Euro pro Tonne vorsieht – und der Preis soll in den nächsten Jahren planmäßig weitersteigen.
  • Mitarbeiter:innen sehen bei ihren Arbeitgeber immer genauer hin und wollen nicht nur einer sinnhaften Tätigkeit nachgehen, sondern auch für eine Organisation oder ein Unternehmen arbeiten, die in Summe einen positiven Impact für die Gesellschaft und die Umwelt generieren. Wer sich also auch in Zukunft als attraktiver Arbeitgeber am heiß umkämpften Markt potentieller Fachkräfte und Kandidat:innen positionieren möchte, muss jetzt die richtigen Maßnahmen ergreifen.
  • Auch auf Seiten der Kund:innen nimmt der Fokus auf Nachhaltigkeit in Bezug auf das Einkaufsverhalten rasch zu. Laut dem Nachhaltigkeitskompass von Handelsverband und EY ist Nachhaltigkeit Teil der Kaufentscheidung – drei Viertel der Österreicher:innen achten beim Kauf von Lebensmittel auf Regionalität, die überwiegende Mehrheit auch auf Tierwohl oder den Verzicht auf fragwürdige Inhaltsstoffe.
  • Und last but not least: Der Kapitalmarkt richtet sich aktuell immer stärker in Richtung Nachhaltigkeit aus. Investor:innen entscheiden immer häufiger auf Basis nachhaltiger Kriterien, wohin sie ihr Investmentportfolio entwickeln bzw. in welche Unternehmen sie investieren. Auch Banken arbeiten gerade daran, ihre Risikomodelle um den Nachhaltigkeitsaspekt zu erweitern. In der aktuellen Anfangsphase betrifft das vorrangig die ganz großen Finanzierungen – es wird aber über kurz oder lang auch einen normalen Betriebsmittelkredit betreffen.

Der Megatrend Nachhaltigkeit wird ebenso wie die Digitalisierung Geschäftsmodelle modifizieren, Branchen grundlegend verändern und damit hoffentlich zu einer besseren und vor allem lebenswerten Zukunft für uns, unsere Kinder und unsere Enkelkinder beitragen. Wir sind uns daher sicher: An Nachhaltigkeit kommt in Zukunft kein Betrieb mehr vorbei.

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